FLÜCHTLINGSHILFE - RUCHHEIM

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CHIOS GRIECHISCHE INSELN TAG 9

KEIN TAG WIE DER ANDERE

Die Stunden der Nachtschicht sind mal wieder ganz anders verlaufen, als wir sie uns vorgestellt hatten.

Um 00:48 Uhr konnten wir beobachten, wie ein Schiff der Küstenwache mit hohem Tempo an unseren Beobachtungspunkt vorbei fuhr, nach etwa 1 km Entfernung plötzlich stoppte und mit einem Suchscheinwerfer die Wasseroberfläche absuchte.

Wir konnten dann mit dem Fernglas beobachten, wie sich plötzlich ein graues, großes Schlauchboot in den Lichtkegel schob, voller Menschen mit orangefarbenen Schwimmwesten.

Wir konnten sehen, dass die Leute auf das Küstenwachschiff steigen mussten und kurz danach ein zweites Boot von der Küstenwache entdeckt wurde. Nachdem auch diese Leute auf das Schiff gegangen waren, nahm das Küstenwachschiff Kurs auf die griechische Küste.

Wir haben sofort die Gruppe darüber informiert, damit ausreichend Kleidung und Nahrungsmittel an den Landungspunkt gebracht werden konnten.

Nun machte sich eine gewisse Hektik breit, denn in einem solchen Fall muss ein riesiger Apparat in Bewegung gesetzt werden.

Autos, gepackt mit Kleidung usw. müssen sich auf den Weg machen, es müssen Busse informiert werden, um die Flüchtlinge zum Camp zu bringen usw.

Da wir in einem solchen Falle immer präsent sind, um medizinische Hilfe im benötigten Fall zu leisten, sind Uli und Nils mit dem Auto Richtung südliche Küste gefahren, um den Landungspunkt zu suchen.

Da der Beobachtungspunkt nicht verlassen werden darf, hab ich die Nachtwache dann alleine übernommen.

Danach geschah zuerst einmal einige Zeit nichts, keine Infos aus der Gruppe, keine weitere Sichtung.

Dann erschien das Küstenwachschiff wieder und fuhr am Beobachtungsposten vorbei mit einem leeren Schlauchboot im Schlepptau.

Offensichtlich hat es sich die Besatzung anders überlegt und wollte die Flüchtlinge selbst zum Haupthafen in Chios bringen. Später erfuhren wir, dass die Küstenwache bei der Aktion auf See einen der Schlepper festgenommen hat, der sich wohl mit auf dem Boot befand.

Ich hatte gerade telefonischen Kontakt mit der Gruppe, wobei wir die Ereignisse nochmals kurz besprachen, als in direkter Nähe ein Außenboard-Motor zu hören war. Ich teilte das den Gruppenmitgliedern mit und kurz danach war das Geräusch verstummt.

Uli und Nils, die auf dem Rückweg waren, weil das Küstenwachschiff nicht angelegt hatte, befanden sich plötzlich in der Situation, dass direkt im Nachbarort ein Boot mit 74 Flüchtlingen relativ unbemerkt anlandete und die Menschen bereits in einer langen Schlange an einer Mauer standen.

Sofort wurden die Wagen mit den Kleidern und Hilfsgütern nach dort umdirigiert.

Die Menschen wurden mit trockenen Kleidern, Getränken und Nahrungsmitteln versorgt, kleinere Verletzungen behandelt und danach mit dem Bus zum Camp VIAL gebracht.

Gegen 4 Uhr war der Einsatz beendet und wir trafen wieder auf dem Beobachtungspunkt zusammen.

Die restlichen 2 Stunden bis zum Ende der Nachtwache blieben dann ruhig, obwohl die Info vorlag, dass gegen 4 Uhr ein weiteres Boot mit Flüchtlingen von der Türkei aus gestartet sei.

Mittlerweile kennt jeder im Ort die "GERMAN DOCTORS" , wie man uns hier nennt und als wir abfahren wollten in Richtung Unterkunft kam ein Bewohner des Ortes aufgeregt auf uns zu und teilte in gebrochenem English mit " Zwei Männer, Feuer, und Feld ".

Er bedeutete uns, wir sollten mit dem Auto hinter ihm und seinem Motorrad herfahren.

Wir fuhren dann durch den ganzen Ort, an unserer Unterkunft vorbei in Richtung Feld und er stoppte vor einem halb zerfallenen und verlassenen Haus, aus dem ein Feuerschein zu sehen war.

Wir kletterten über einige Trümmer und standen plötzlich in einem Vorraum des Hauses, in dem 2 vollkommen verängstigte Männer vor einem kleinen Feuer saßen.

Ich erklärte Ihnen sofort "DON´T PANIC, NO POLICE, MEDICALS !!!"

Wir waren genau so überrascht wie sie und wie versuchten, sie in ein Gespräch zu verwickeln, wo sich dann herausstellte, dass es sich um zwei afghanische Flüchtlinge handelte, die in der Nacht mit den anderen Flüchtlingen angekommen waren und aus Angst vor der Polizei geflüchtet sind.

Sie saßen in völlig durchnässten Kleidern vor Ihrem kleinen Feuer und niemand wusste so richtig, wie er sich verhalten sollte.

Wir, in unseren Uniformen, machten Ihnen Angst und wir konnten nicht einschätzen, wie sie sich, in die Enge getrieben, verhalten würden.

Zuerst einmal haben wir Ihnen Getränke und etwas zu essen gegeben, das wir im Auto hatten und konnten so Vertrauen schaffen.

Wir konnten Ihnen erklären, dass wir keine Polizei sind und wir nur helfen wollen.

Ich habe dann die Gruppe angeschrieben, dass wir sofort trockene Kleider benötigen und der Hilfsapparat wurde in Bewegung gesetzt.

Wir haben ja die klare Anweisung, in einem solchen Fall die Polizei zu holen um die Flüchtlinge zu registrieren und ins Camp zu bringen.

EINEN TEUFEL WERDEN WIR TUN!!!

Da wir wissen, was auf die beiden zukommt, sind wir uns sofort einig, das Richtige zu tun, NÄMLICH GAR NICHTS!

Wahrscheinlich haben die Beiden keine große Chance, die Insel auf irgendeine Art zu verlassen, aber das sollten nicht wir entscheiden. Wahrscheinlich wird die Polizei sie irgendwann doch aufgreifen, aber halt nicht heute Abend.

Es ist eine sehr zweideutige Entscheidung, aber wir haben uns nunmal entschieden, dass wir hier nicht eingreifen.

In der Zwischenzeit ist auch das Auto mit den frischen und trockenen Kleidern angekommen und die Beiden wurden versorgt.

Wir haben uns von den Männern verabschiedet und Ihnen viel Glück für die Weiterreise gewünscht.

Die anfangs sehr ängstlichen Gesichter waren entspannt und zufrieden über die momentane Situation.

Die Strapazen waren den Beiden anfangs sofort anzusehen. Sie müssen einiges durchgemacht haben und wir fanden, sie sollten zuerst mal zumindest mit dem Gefühl, Europa erreicht zu haben, zur Ruhe kommen.

Alles was danach geschieht, ist Schicksal.

Wir konnten heute morgen aufstehen, in den Spiegel blicken und uns laut sagen "JA, GENAU SO!!!"

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